Am 27. März 2025 ist Karl Heinz Gruber im 83. Lebensjahr gestorben. Das Bildungswesen hat sein Leben geprägt, nicht nur als Forschungsobjekt des Universitätsprofessors für Pädagogik, sondern auch als wesentlicher Erfahrungsraum des Kindes, des Lernenden und des späteren Forschers, wie man – vielleicht ungewohnt anschaulich – aus seiner biografischen Schrift „Vergnügte Wissenschaft. Ein pädagogischer Selbstversuch“ nachvollziehen kann, die 2022 im Verlag Bibliothek der Provinz erschienen ist[1].
Karl Heinz Gruber wurde am 15. April 1942 in Laakirchen in Oberösterreich „in eine liebevolle Familie mit einer starken Mutter hineingeboren“ (21). Sein Vater war Papiermacher in der Papierfabrik Steyrermühl. Die Fabrik und die Sozialdemokratie bestimmten das Sein und das Bewusstsein der Bevölkerung. Der Fabrikskindergarten, die Kinderfreunde, der ASKÖ, das ländliche Umfeld der Traun waren wichtige Orte seiner Kindheit und Jugend. In seiner Biographie war es ihm „peinlich“ (38) einzugestehen, dass er ein „sogenanntes braves Kind“ (38) war, ein guter Schüler, der die Schule liebte. Eine wichtige Bubenfreundschaft entwickelte sich mit dem Sohn des kaufmännischen Abteilungsleiters der Fabrik. Im Elternhaus des Freundes, die er als „Zweit-Familie“ bezeichnete, erwarb er einen selbstverständlichen Umgang mit Hochdeutsch und bekam Zugang zu klassischer Musik. Während sein Freund mit zehn Jahren ins Gmundner Gymnasium wechselte, besuchte Karl Heinz als Arbeiterkind in den 1950er Jahren die Laakirchner Hauptschule. Das größte Glück seiner Bildungskarriere war sein Englischlehrer an dieser Schule, der in ihm eine andauernde Begeisterung für die englische Sprache auslöste und ihn regelmäßig mit interessantem englischem Lesestoff versorgte. Auf Empfehlung dieses Lehrers besuchte er nach der Hauptschule die zur Matura führende Lehrerbildungsanstalt in Linz und übersiedelte in ein Linzer Schülerheim, was den Abschied von seiner Kindheit nahe des Traunfalls bedeutete.
Karl Heinz Gruber wollte unbedingt Lehrer werden, „da er in die Institution Schule verliebt war“ (43). Schule bedeutete für ihn „die Befreiung von den Fesseln einer bildungsfernen Herkunft, die umfassende Förderung der persönlichen Begabungen und Interessen und die Erschließung der ‚world of learning‘ in meinem Fall bis hin zu den mythen- und efeuumrankten akademischen Sphären von Oxford und Harvard“ (43).
Seine Lehrerkarriere begann Karl Heinz Gruber in einer zweiklassigen Volksschule in einer winzigen Ortschaft auf einem Bergrücken des Sauwaldes im Innviertel; er unterrichtete später Englisch, Deutsch, Musik und Knabenhandarbeit an der Hauptschule Andorf und an verschiedenen Kleinschulen im Innviertel.
1962/63 war er Fulbright-Student an der Hamline University St. Paul, Minnesota im amerikanischen Mittelwesten und begann mit der Erkundung des amerikanischen Schulwesens.
Nach seinem Präsenzdienst begann er sein Studium der Pädagogik, Soziologie und Völkerkunde an der Universität Wien, wo er auch ab dem 2. Semester als wissenschaftliche Hilfskraft tätig war. In seiner Promotionsschrift (1970): „Untersuchungen zur Reform der Schulstruktur: die schwedische Schulreform als ‚realutopisches‘ Modell“ befasste er sich mit der schwedischen Schulreform 1962. Ein Dissertationsstipendium beim Svenska Institutet, das ihm der schwedische Professor Torsten Husen, der Vater der schwedische Gesamtschule (121), ermöglicht hatte, erlaubte ihm neben dem Studium wissenschaftlicher Ergebnisse auch teilnehmende Beobachtungen wie ein „Kulturanthropologe“ (122) durchzuführen.
Nach seiner Promotion war Karl Heinz Gruber Assistent und Lehrbeauftragter am Institut für Pädagogik der Universität Wien. In den 1970er Jahren verbrachte er zwei Forschungsaufenthalte am Department of Educational Studies der Oxford University, England. 1979 habilitierte er sich für Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Universität Wien mit einer Studie über die englischen Grund- und Sekundarschulreformen der 1960er und 1970er Jahre, wurde zum außerordentlichen Professor an der Universität Wien ernannt und schließlich 1986 zum Ordinarius für Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Universität Wien berufen. Weitere 40 Jahre erforschte Karl Heinz Gruber das „Phänomen Bildung und die Institution Schule in unterschiedlichen nationalen, kulturellen und politischen Kontexten“ (92) und analysierte, was man davon für die Verbesserung der österreichischen Schule lernen kann. Er wollte nie ein „akademischer Schreibtischtäter“ (92) sein, sondern betrieb Feldforschung vorwiegend in den „Schrittmacher-Ländern der internationalen Schulentwicklung und den ‚big players‘ der OECD – Schweden, USA, England, Frankreich und Japan“ (92). Unter anderem erkundete er die schwedische Gesamtschulreform, in England die Schulautonomie und die einmalige Innovationsbereitschaft, die von einem hohen professionellen Ethos der Lehrerschaft getragen war, die große Vielfalt an regionalen Schulsystemen in den USA, deren Spektrum von wohlausgestatteten Leistungswelten bis hin zu problemhaften, besorgniserregenden „Brennpunktschulen“ reicht, sowie in Japan den konfuzianischen Respekt vor Lernen und Gelehrsamkeit (14).
Neben seinen internationalen Forschungsaufenthalten (z.B. an den Universitäten Oxford, Harvard und Hiroshima) hatte Karl Heinz Gruber zahlreiche internationale Funktionen inne: So beispielsweise 1989 bis 1995 als Mitglied des Governing Board des OECD-CERI in Paris, dessen Vorsitzender er 1992/93 war. Als Mitglied eines OECD-Expertenteams wirkte er auch 2005 mit an der Evaluierung der norwegischen Universitäten.
2002 trat Karl Heinz Gruber als o. Univ. Prof in den Ruhestand, seine Lehrtätigkeit an der Universität Wien beendet er 2020. 2002 wurde ihm das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse verliehen, 2009 erhielt er den Preis der Stadt Wien für Volksbildung und 2012 das Große Silberne Ehrenzeichen der Republik Österreich.
Grubers wissenschaftliche Laufbahn begann in der Zeit der „realistischen Wende“. Die ‑ bis dahin vorwiegend philosophisch-geisteswissenschaftlich orientierte ‑ Pädagogik entwickelte sich zu einer methodisch vielfältigeren Disziplin. Karl Heinz Grubers analytische Interessen waren „wie die der meisten anglo- amerikanischen Bildungsforscher, down to earth‘, d.h. auf die Ziele, Strukturen und Prozess der Institution Schule, die Rollen von Lehrerinnen und Lehrer sowie auf die Bildungsprozesse von Schülerinnen und Schülern fokussiert“ (14).
Neben seinem Engagement für eine international-vergleichende Weitung des Blicks bei Bildungsreformen war Bildungsgerechtigkeit ein Leitmotiv seiner Tätigkeit. So wurde er auch nicht müde, auf die besseren Chancen vor allem für Kinder aus bildungsfernen Schichten durch die Umsetzung einer integrierten differenzierten Gesamtschule hinzuweisen. Die Gesamtschule hielt er nicht für die Lösung aller Probleme, aber doch für die bessere Möglichkeit, unterschiedlichen Kindern Bildungschancen zu eröffnen.
Neben seiner wissenschaftlichen Publikationstätigkeit in wissenschaftlichen Zeitschriften und Sammelbänden zu den Themenfeldern Schule, Lernen, Schulreform, Bildungspolitik und Lehrpersonenbildung hat sich Karl Heinz Gruber in Schul- und Bildungsdebatten eingemischt und seine Erfahrungen in über 170 Kommentaren der Tageszeitung DER STANDARD und der deutschen Wochenzeitung Die ZEIT in den öffentlichen Diskurs eingebracht. Mit großem Engagement hat er sich seiner Aufgabe als Hochschullehrer gewidmet und versucht, seine Vorlesungen nicht nur wissenschaftlich fundiert, sondern auch so unterhaltsam wie möglich zu gestalten.
Karl Heinz Gruber war ein vielseitig interessierter Mensch, humorvoll und mit einer gehörigen Portion Ironie auch in der Betrachtung des eigenen Tuns ausgestattet. Seine präzise und pointiert formulierten Analysen verschiedener Bildungssysteme, aus denen er unermüdlich Vorschläge für die Verbesserung des österreichischen Bildungswesens ableitete, werden der österreichischen Bildungsdebatte fehlen.
Für den Vorstand
Katharina Soukup-Altrichter
Stv. Vorsitzende
[1] Alle folgenden Zitate stammen aus diesem Buch: Karl Heinz Gruber (2022). Vergnügte Wissenschaft. Ein pädagogischer Selbstversuch. Fragmente einer Karriere. Verlag Bibliothek der Provinz.